Falscher Alarm? Warum Amazon-Innovationen oft überbewertet werden

Falscher Alarm? Warum Amazon-Innovationen oft überbewertet werden

Das Online-Versandhaus Amazon hat sich vom einstigen Buchversandhändler zur größten Online-Verkaufsplattform der Welt gewandelt. Laut Brand-Finance-Ranking konnte Amazon seinen Markenwert zuletzt um 42 Prozent steigern. Mit einer Bewertung von über 150 Milliarden US-Dollar ließ das Versandhaus sogar Google und Apple hinter sich. Die weit verbreitete Panik vor Amazon-Einführungen rechtfertigt das aber noch nicht, wie der folgende Überblick zeigt.

Weit über amerikanische Grenzen hinweg berichten Medien regelmäßig über Neuerungen aus dem Hause von Jeff Bezos. Tatsächlich hat kaum ein Online-Player – auch global – so sehr die Marktstrukturen verändert wie Amazon. Natürlich ist es nachvollziehbar, dass beispielsweise der stationäre Handel hellhörig wird, wenn neue Geschäftsmodelle oder Verkaufsideen präsentiert werden. Schließlich erschwert der Online-Handel den physischen Händlern das Leben, wenngleich nicht Amazon alleine dafür verantwortlich ist und die Channel-Integration auch Chancen für den traditionellen Einzelhandel mit sich bringt.

Warum jedoch jede Amazon-Nachricht so nervös verbreitet wird, ist schwer zu erklären. Bei vielen Themen handelt es um Pläne für die ferne Zukunft, Testläufe ohne direkten Bezug zum aktuellen Wettbewerb und teilweise sicher um reine Marketing-Aktionen.

Amazon-Drohnen

Bestes Beispiel sind die Drohnen, die für die Auslieferung von Amazon-Bestellungen getestet werden. Amazon verfolgt dieses Ziel seit Langem und hat in 2016 das Amazon Prime Air-Programm ins Leben gerufen haben. Geplant sind ebenso fliegende Lagerhäuser, Landebahnen für Drohnen auf Zügen usw. Doch bis das weitflächig zum Logistikalltag gehört, werden noch viele Jahre vergehen. Bis dahin wird sich in Deutschland vermutlich eher die Kofferraum-Zustellung etabliert haben, die DHL bereits erfolgreich mit verschiedenen Partnern ausprobiert hat.

Bei anderen Produkten und Dienstleistungen von Amazon ist die Realisierung zügiger möglich, doch der Markterfolg trotzdem fraglich und die Konkurrenz stärker als gedacht.

Amazon-Spiegel

Wild diskutiert und spekuliert wurde in diesen Tagen über den Spiegel von Amazon, der bei Konsumenten zuhause eine virtuelle Anprobe ermöglichen soll. Amazon hat die besondere Form der Anprobe bereits beim amerikanischen Patentamt USPTO angemeldet. Fraglich ist jedoch, ob es sich jemals rechnen wird, das technisch anspruchsvolle Produkt in den gesamten Markt einzuführen.

Zudem wird häufig vergessen, dass es längst zahlreiche andere Anbieter gibt, die seit Jahren ähnliche Produkte entwickelt und auch schon in Modegeschäften ausprobiert haben:

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Amazon Fresh

Ein Bereich, in dem Amazon tatsächlich bereits Erfolge feiert, ist die Auslieferung von Frischwaren und Lebensmitteln. Unter dem Namen “Amazon Fresh” werden in Amerika schon erfolgreich Wocheneinkäufe verschickt und der traditionelle Handel hat das natürlich mitbekommen. Ob deshalb auch in Deutschland Grund zur Panik besteht, steht jedoch auf einem anderen Blatt.

Zum einen gibt es hierzulande zahlreiche Supermärkte und Discounter, die bereits über das Internet versenden und als Lebensmittelhändler einen sehr guten Ruf genießen. Zum anderen hat Amazon Fresh bei seinen ersten Gehversuchen in Deutschland bereits eine erste Schlappe hinnehmen müssen. Der US-Händler hat den in Deutschland mit Marken wie Allos, Rapunzel und einer Eigenmarke bekannten Bio-Händler Basic offenbar bereits als Zulieferer für sein Prestige-Projekt in Berlin verloren.

Amazon Go

Ähnliches gilt für Amazons “ersten Supermarkt ohne Kassen”, der kürzlich auch für ein breites Publikum in Seattle eröffnet wurde. Darin können die Käufer – idealerweise – die Waren direkt in ihre Einkaufstaschen legen und am Ende das Geschäft einfach verlassen. Die Produkterfassung erfolgt über eine ausgeklügelte Technik mit Sensoren und Kameras, die Abrechnung findet über die Amazon-Go-App statt.

Ist das die Revolution für den Einzelhandel? Bisher sicher nicht. Abgesehen davon, dass Amazon offensichtlich einige Probleme bei der technischen Umsetzung hatte, die zu zahlreichen Verzögerungen geführt haben, ist das Konzept gar nicht so neu. Längst gibt es in vielen Ländern die Möglichkeit, mit verschiedenen Technologien das traditionelle Bezahlen zu erweitern oder gar zu ersetzen. Deutsche Discounter testen dies schon seit den 1990ern. Amazons Ansatz ist letztlich eine weitere Methode, die sicher sehr fortschrittlich erscheint, aber weder für jeden Supermarkt geeignet ist noch das Personal im Geschäft ersetzen kann.

Eine schöne Parodie auf Amazon Go, die einige Schwächen anspricht, gibt es hier:

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Amazon will künftig… immer mit der Ruhe

Die Liste ließe sich noch weiter fortführen und unter den Neueinführungen von Amazon werden fraglos wieder große Innovationen sein. Zum Beispiel bleibt noch abzusehen, wie Amazon seine eigene Modelinie “Find” künftig im Markt platzieren wird, auch die geplante Krankenkasse von Amazon wird noch für Diskussionen sorgen und eventuell sogar zur Revolution führen. Darüber hinaus testet Amazon gerade seinen eigenen Lieferdienst und vieles mehr.

Dass jede dieser mehr oder minder großen Innovationen aber den gesamten Markt verändert wird, ist eher unwahrscheinlich. Amazon bestätigt mit den regelmäßigen Experimenten selbst, dass die Zukunft des Onlinehandels kaum abzuschätzen ist. Vielleicht lauert irgendwo schon ein kleiner Online-Buchversandhändler, der gerade die Shopping-App des Jahrtausends entwickelt, die alles Bisherige in den Schatten stellen wird?

Über den Autor/die Autorin
Johnny ist Experte für Online-Marketing, seine Spezialgebiete sind Suchmaschinenoptimierung (SEO), Content-Strategien und Blogger-Networking. Wenn er nicht gerade selbst Texte verfasst oder redigiert, meditiert er über Analyse-Tools für Marketing-Kampagnen, Webseiten und Influencer.

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